Der genetische Fingerabdruck

Das Thema genetischer Fingerabdruck (genetic fingerprinting) handelt von einem molekulargenetischen Verfahren, das wie kein anderes dazu geeignet ist, Zeugnis von der riesigen molekularen Vielfalt und den molekularen Differenzen von Individuum zu Individuum abzulegen. Den molekularen Polymorphismus für einige kodierende Bereiche haben wir bereits im vorigen Abschnitt am Beispiel der Allele der Blut- und Gewebegruppen kennengelernt.

Abb. 27: Genschrott
Abb. 22: Der Anteil nichtkodierender DNS (grau) beträgt mehr als 95%. Er ist die Quelle des genetischen Fingerabdrucks.

Das Verfahren des genetischen Fingerabdrucks (genetic fingerprinting) erfaßt dagegen individuelle Unterschiede (Allele) in definierten Bereichen der DNS, diekeine kodierende Funktion aufweisen und als Introns bezeichnet werden (vgl. Abschnitt „Vom Gen zum Eiweiß„). Die Vielfalt ihrer individuellen Muster macht sie zu potenziellen Kandidaten für Abstammungsgutachten (z.B. „Vaterschaftstest“) und die gerichtsmedizinische Spurensuche. Diese Bereiche machen mehr als 95% der gesamten DNS eines Individuums aus (Abb. 22). Auf diese Weise wird eine der wesentlichen Voraussetzungen erfüllt, daß der genetische Fingerabdruck in Straf- und Zivilverfahren eingesetzt werden kann, denn es dürfen für ein mögliches gerichtsmedizinisches Gutachten – außer der Bestimmung des Geschlechts – keine persönlichkeitsrelevanten Informationen aus den kodierenden Bereichen zur Untersuchung verwendet werden.

Das Prinzip des genetischen Fingerabdrucks hat seinen Ursprung in einer Zufallsentdeckung des britischen Genetikers Alec Jeffrey (1985). Seitdem hat die stark weiterentwickelte Methode in zunehmendem Maße insbesondere bei Gerichtsverfahren auf der ganzen Welt an Bedeutung gewonnen. Das Verfahren wurde in Deutschland erstmals im Jahre 1988 als Beweis in einem Strafprozess vom Gericht anerkannt.

Nachfolgend soll das Prinzip des genetischen Fingerprints beschrieben werden, wie es heute z. B. in den Landeskriminalämtern (LKA) der Bundesrepublik Deutschland und der amerikanischen Bundespolizei (FBI) eingesetzt wird. Seine Vorteile gegenüber älteren Verfahren liegen in

  • der extrem geringen erforderlichen Probenmenge (Minimum: eine Körperzelle),
  • der Verwendung von DNS aus Blutspuren, die durch Abbauprozesse bereits geschädigt wurde,
  • dem Verzicht auf den Einsatz von Radionukliden und nicht zuletzt
  • der bequemen Speicherung der Resultate in Datenbanken in Form von Zahlenmustern, die den schnellen Vergleich der Untersuchungsergebnisse vieler Proben ermöglichen.

Für den genetischen Fingerabdruck werden mehrere nichtkodierende DNS-Abschnitte (Genorte) auf verschiedenen Chromosomen analysiert. Zum Beispiel untersucht das LKA 8, das FBI 13 solcher standardisierten Genorte, die durch das Auftreten mehr oder weniger langer, sich mehrfach wiederholender Nukleotidsequenzen (tandem repeats) charakterisiert sind. Zum Beispiel: ~~~GATA-GATA-GATA-GATA~~~ bedeutet 4 tandem repeats der Nukleotidsequenz GATA. Diese Genorte wurden gewählt, weil sie sich in der molekularen Evolution gegenüber Mutationen als sehr stabil erwiesen haben. Das Standardverfahren, wie es heute international routinemäßig z.B. in der gerichtsmedizinischen Praxis eingesetzt wird, analysiert sehr kurze Wiederholungssequenzen (short tandem repeats, STR), die aus vier Nukleotidpaaren bestehen.

Abb. 27a: Ungefähre Position der Genorte, die für den genetischen Fingerprint verwendet werden
Abb. 23: Ungefähre Position der Genorte, die für den genetischen Fingerprint verwendet werden
Tab. 13: Zusammenstellung von Reagenzien zur Erfassung der Fragmentlängenmuster von 9 ausgewählten Genorten und des Geschlechts des Probanden sowie eines Fragmentlängen-Standards (nach Schneider}
System Chromosom Genort Repeat Allele Farbe
#1 3 D3S1358 TCTA 8 BLAU
#2 12 VWA TCTA 11 BLAU
#3 4 FGA CTTT 14 BLAU
#4 11 THO1 AATG 7 GRÜN
#5 2 TPOX AATG 8 GRÜN
#6 5 CSF1PO AGAT 10 GRÜN
#7 5 D5S818 AGAT 10 GELB
#8 13 D13S317 GATA 8 GELB
#9 7 D7S820 GATA 10 GELB
A XY Amelogenin grün
B Längenstandard rot
Abb. 28: Fingerprint 8 Allele
Abb. 24: Für den Genort TPOX (8 mögliche Allele) des väterlichen und mütterlichen Chromosom 2 läßt sich je eine definierte Fragmentlänge bestimmen.

Die Länge dieser Wiederholungssequenzen (repeats) ist von Individuum zu Individuum für einen Genort unterschiedlich (variable number tandem repeats, VNTR; Abb. 24) und ergibt bei Untersuchung mehrerer definierter Genorte individuelle Fragmentlängenprofile, die als Zahlenmuster gespeichert werden können. Sie bilden den genetischen Fingerabdruck, der dann beim Spurenvergleich oder in Abstammungsgutachten als Grundlage für die Entscheidung über die Identität zweier Proben dient.

Abb. 28a: Fingerprint (Schema)
Abb. 25: Fingerprint (Schema). Details im Text.

Abb. 25 zeigt den prinzipiellen technischen Ablauf des genetischen Fingerabdrucks nach Präparation der zu untersuchenden DNS. Dargestellt ist die Bestimmung der Fragmentlängen am Beispiel des väterlichen und mütterlichen Chromosoms am Genorts TPOX des Chromosoms 2:

  • Startpunkt und Ende der zu untersuchenden Bereiche auf den verschiedenen Chromosomen werden durch Zugabe von Paaren sogenannter lokusspezifischerPrimer (sprich: praimer) festgelegt. Primer sind kurze Nukleotidketten (etwa 20 Nukleotidbausteine), die komplementär zu den Nukleotidsequenzen sind, die den zu untersuchenden Genort begrenzen.
  • Der so markierte Bereich der DNS wird dann, wie bereits im Abschnitt Polymorphismus beschrieben, mittels der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) vervielfältigt (amplifiziert).
  • Die Primer für die einzelnen Bereiche sind mit verschiedenen Farbstoffen markiert, so daß die amplifizierten Produkte nach der PCR sichtbar gemacht, automatisch analysiert und hinsichtlich Genort und Fragmentlänge zugeordnet werden können. Außerdem wird ein farblich markierter Längenstandard mitgeführt.
  • Da die Länge der Wiederholungssequenzen (Allele) von Individuum zu Individuum für den gleichen Genort der untersuchten Chromosomen unterschiedlich sind , entsteht ein Gemisch von Nukleotidketten, das nach Länge und Färbung elektrophoretisch getrennt und automatisch analysiert werden kann. So ergeben sich individuelle Muster oder Profile (vgl. Tab. 13a), die geeignet sind, Auskunft über die Identität zweier Proben zu geben.
Tab. 13a: Dies ist der genetische Fingerabdruck. EDV-gerechte Darstellung der Untersuchungsergebnisse des genetischer Fingerabdrucks von zwei nichtidentischen fiktiven Proben. Die Zahlen entsprechen den Fragmentlängen der eizelnen Allele. Die durch Komma getrennten Zahlenpaare repräsentieren die automatisch berechneten Fragmentlängen der entsprechenden Genorte (Systeme) auf den väterlichen bzw. mütterlichen Chromosomen.
Probe-Nr. Population D3S1358 VWA FGA THO1 TPOX usw.
99998 Deutschland 6,7 23,25 11,11 32,36 18,18 usw.
99999 Deutschland 7,7 27,28 10,10 33,41 14,17 usw.

Männlicher und weiblicher genetischer Fingerabdruck. In der Stammbaumforschung (Genealogie) und der gerichtlichen Medizin werden für die Feststellung von Verwandtschaftsbeziehungen in männlicher Linie Genorte gewählt, die nur auf dem Y-Chromosom liegen, da nur männliche Probanden über ein Y-Chromosom verfügen. Für Untersuchungen in ausschließlich weiblicher Linie werden Genorte aus dem Mitochondriengenom benutzt, da die Mitochondrien und ihre genetischen Informationen nur in mütterlicher Linie über die Eizellen an die Nachkommen weitergegeben werden (Eva-Gen). Mit dem beschriebenen Vorgehen soll es möglich sein, Verwandtschaftsbeziehungen bis 10.000 Jahre zurückzuverfolgen.

In der Vaterschaftsdiagnostik bietet sich mit der Verwendung von Genorten auf dem Y-Chromosom die Möglichkeit, die Vaterschaft für ein männliches Kind auch dann zu ermitteln oder auszuschließen, wenn der beklagte Vater nicht verfügbar ist, da jeder männliche Blutsverwandte des Kindes (Bruder, Onkel, Cousin, Großvater väterlicherseits) die gleichen Erbanlagen auf dem Y-Chromosom trägt wie der Kindesvater und so zur Untersuchung herangezogen werden kann [1].

Bei der Verfolgung von Sexualverbrechen, die in der Regel von Männern begangen werden, macht es sich häufig erforderlich, Mischproben aus männlichen (Spermien) und weiblichen Zellen (aus Vaginalsekreten) zu untersuchen. Obwohl der Anteil von weiblichen Zellen im Untersuchungsmaterial meist überwiegt und somit zu erwarten ist, daß sich die Untersuchungsergebnisse des männlichen und weiblichen Anteils überlagern, ist bei Verwendung von Genorten auf dem Y-Chromosom als Zielstruktur eine klare Trennung der männlichen Allele mit dem genetischen Fingerabdruck möglich.

Knochenmarktransplantation. Das Prinzip der Knochenmarktransplantation (KMT) besteht im ersten Schritt in der vollständigen Zerstörung aller körpereigenen Immunzellen mittels Chemo- und/oder Strahlentherapie und damit gleichzeitig der Krebszellen des erkrankten Patienten. In einem zweiten Schritt werden dem Patienten Knochenmarkzellen von einem gesunden Spender mit einem möglichst identischen Gewebemuster verabreicht, in der Hoffnung, daß diese Zellen sich anstelle der Empfängerzellen vermehren und so zur Gesundung führen.

So existieren unmittelbar nach KMT zwei Zellpopulationen nebeneinander (Chimärismus): eine körpereigene und eine fremde. Um die Wirksamkeit der Therapie zu verfolgen, kann mit der Methode des genetischen Fingerabdrucks das Wiederauftreten von körpereigenen Immunzellen neben dem „Anwachsen“ der Spenderzellen verfolgt und entsprechend darauf therapeutisch reagiert werden.

Abb. 29: Fingerprint (Familie)
Abb. 26: Fingerprint (Familie)

Familienuntersuchungen. Abb. 26 demonstriert an einem fiktiven Beispiel das Ergebnis der Untersuchung einer Familie bestehend aus Vater, Mutter, einem gemeinsamen Kind von Vater und Mutter (Kind 1), einem Kind der Mutter aus einer vorausgegangenen Ehe (Kind 2) und einem adoptierten Kind (Kind 3). (Die einzelnen Banden wurden verschiedenfarbig dargestellt, um die familiären Zusammenhänge zu verdeutlichen und entsprechen nicht den Farbmarkierungen der zur Untersuchung benutzten Primer in Tab. 13.)

Botanik, Land- und Forstwirtschaft. Die Prinzipien des genetische Fingerabdrucks können selbstverständlich auch auf botanische Objekte Anwendung finden. Wenn dieses Verfahren auch bisher in den theoretischen und angewandten botanischen Wissenschaften nicht eine solche Verbreitung und Anwendung gefunden hat wie in den Human- und veterinärmedizinischen Disziplinen, so ist zu erwarten, daß sich dieser Zustand in naher Zukunft ändern wird. So ist es heute z.B. möglich, den Pollenflug genmanipulierter Pflanzen nachzuweisen. Da es sich bei den Pollen um die männlichen Keimzellen der Pflanzen handelt, entspricht das Vorgehen dem Vaterschafts(ausschluss)test in der forensischen Humanmedizin. Weitere wichtige Anwendungsgebiete: Archäo- und Paläobotanik, Evolutionsforschung, Klimaforschung.

Fazit: Der genetische Fingerabdruck (genetic fingerprint) beruht auf der Analyse mehrerer ausgewählter nichtkodierender Abschnitte des Genoms, die durch das Auftreten mehr oder weniger langer, sich mehrfach wiederholender Nukleotidsequenzen (tandem repeats) charakterisiert sind. Die verschiedenen Fragmentlängen ergeben ein individuelles Zahlenmuster, das für die untersuchte Person charakteristisch ist und für den Abgleich mit anderen DNS-Proben verwendet werden kann.

[1] Roewer,L., Nagy,M., Geserick,G.: „Der genetische Fingerabdruck“, Humboldt-Spektrum 1 (1999) 4-11